Aus bisher noch nicht wissenschaftlich untersuchten Gründen wird man in diesen Tagen und wie in jedem Sommer von allen Seiten dazu aufgefordert, Heim und Herd zu verlassen. Man soll in einen Vogel aus Stahl, Plastik und etwas Elektronik klettern und gemeinsam mit einer schwitzenden Hundertschaft fremder Personen offenbar versteckte Todessehnsüchte wecken. Dieses kreuzgefährliche Unterfangen heißt dann Charterflug, und steht meist am Beginn der mit Abstand anstrengendsten Zeit des Jahres: dem Erholungsurlaub.
Sicher kann man auch mittels eigenem Fahrzeug aufs Herrlichste über Stunden Benzin verbrennen und es trotzdem sehr entspannt in etwa 14 Stunden nach Paris schaffen. Während der Fahrt sollte aufs Trefflichste und sehr ausführlich mit dem Reisepartner diskutiert werden, welch Raststätte sich an Ekel überschlägt und welch geheimnisvolle Krankheiten wohl in diesen Klappen am Autobahnrand lauern.
Die Entfernung des Urlaubsortes ist vorher genau zu überlegen. Die Formel lautet hier: nah ist peinlich. Also nicht versuchen, vor den saunierenden Herren in der Löbervorstadt mit einem vierwöchigen Zelturlaub am Stausee Hohenfelden zu pransen. Unter zweitausend Seemeilen Urlaubs-Entfernung von der heimischen Puffbohnenmetropole lohnt das Wegfahren also nicht und am Ende erntet der weltenbummlerische Homo doch nur ein “..tststs” oder ein übertriebenes “Na toll!” von den SWIB-Schwestern, wenn er es gerade mal in die Parkanlagen von Chemnitz geschafft hat.
Merke also: Ferne, möglichst exotische Länder soll der wilde moderne Homosexuelle bereisen. Er soll wenigstens so tun, als beherrsche er 12 wichtige Sprachen und hätte geheimnisvolle Sitten und Bräuche längst in der Lackumhängetasche. Dabei spielt es kaum eine Rolle, wenn man dann doch eine germansiche Schwulenhochburg aus Waschbeton an einem mallorcinischen Schmutzstrand besiedelt. Überhaupt sollte die Mitteilung sommerlicher Reiseziele sofort die Assoziation unbekleideter männlicher Bronzekörper beim Zuhörer hervorrufen. Wichtige Sehenswürdigkeiten, ein Interesse an Geschichte und Kultur des Urlaubslandes, oder gar die Beschäftigung mit der einheimischen Bevölkerung beiderlei Geschlechts ruft beim herkömmlichen Urlaubs-Urning eher unwillige und verwirrte Reaktionen hervor.
Sollen sie doch reisen. Sollen sie doch Straßen und Gassen verstopfen, die unmöglichsten Hemden tragen, die verrückteste Menge an mühsam Ersparten hinausschleudern und schließlich die exotischsten Allergien importieren. Die Urlaubsreise ist und bleibt eine der billigsten Tricks des Kapitals zur Beruhigung des eh schon narkotisierten Volkes, egal mit welch interessanter sexueller Präferenz es auch aufwartet. Warum nur soll man die kalte Heimat zu einer Zeit verlassen, in der es gerade jetzt an allen Ecken fiebert, hitzt und sprießt. Und vor allem endlich Platz ist, weil ja jeder Einheimische längst im Flieger sitzt oder sich gerade um einen Strandstuhl aus weißem Plastik prügelt.
Ein hervorragender Trick, dem verordneten Kolonialverhalten auf Zeit, hier Urlaub genannt, auszuweichen, ist die gemeine, aber sehr praktische LÜGE. Man erzählt herum, man würde in diesem Jahr mal wieder Bali oder Neuseeland bereisen. Stattdessen klebt man sich ein Bärtchen an oder ändert die Frisur und erlebt inkognito 3 herrliche Wochen in der Heimat. Beim notwendigen Urlaubs-Diavortrag danach hilft unsere wohlsortierte Universitätsbibliothek. Schaut nach in der Kartei unter DIAREIHEN AUS FERNEN LÄNDERN FÜR DAHEIMGEBLIEBENE.
Aber lasst Euch nicht erwischen.
Euer Marcello Libelle (derzeit Bali)